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„Alkohol und Sportwetten sind leicht verfügbar, verursachen aber schwere Schäden!"

Zum Gedenktag für verstorbene Drogenabhängige spricht Sandra Albert, Sozialberaterin beim IB, über „verdeckte Sucht“, die Rolle von Social Media und was aus ihrer Sicht Politik tun könnte


Mann sitzt auf einem Stuhl und bedeckt seinen Augen mit seinen Händen.
Viele Sucht-Betroffene verheimlichen ihr Verhalten aus Scham, geraten in Schulden, verlieren Beziehungen oder ihre Wohnung. Foto: christopher lemercier/Unsplash

Sandra Albert ist Sozialberaterin sowie betriebliche Suchtbeauftragte beim Beschäftigungsprojekt "WISSO" des IB Baden in Mannheim. Dabei handelt es sich um eine Maßnahme für suchtkranke Personen. Ziel ist die Auseinandersetzung mit der eigenen Situation sowie das Trainieren von sozialen Kompetenzen. Zum nationalen Gedenktag für verstorbene Drogenabhängige (21. Juli) spricht sie im Interview über ihre Arbeit.


Warum rutschen Menschen in eine Sucht?
Es gibt unzählige Gründe – aber fast immer ist Sucht ein Versuch, mit etwas Unerträglichem umzugehen. Schmerz, Leere, Einsamkeit, Überforderung. Manche Menschen wachsen in suchtbelasteten Familien auf und übernehmen unbewusst Muster, andere entwickeln über Jahre ein abhängiges Verhalten. Sucht ist kein „Scheitern an Willensstärke“, sondern oft eine Überlebensstrategie – nur leider eine, die krank macht.

Ich weiß, wovon ich spreche. Auch mein eigener Lebensweg war nicht immer gerade. Diese Erfahrungen machen mich besonders sensibel und mitfühlend in meiner Arbeit. Ich übe meinen Beruf nicht nur mit dem Kopf aus – sondern mit ganzem Herzen und ganzer Überzeugung. Es ist meine Berufung.


Wann und wie kommen Menschen in Ihre Einrichtung?
In unserer Einrichtung arbeiten wir mit Menschen, die vom Jobcenter vermittelt werden – oft langzeitarbeitslos, viele mit Suchterkrankung, psychischen Belastungen oder multiplen Problemlagen. Ein ganz besonderes Alleinstellungsmerkmal unserer Einrichtung ist, dass wirklich alle kommen können, die wir aufnehmen wollen – unabhängig davon, in welchem Zustand sie sind. Es ist ausdrücklich erlaubt, „intoxikiert“ zu erscheinen, denn wir wollen niemanden ausschließen, der noch mitten im Konsum steht. Konsum vor Ort ist tabu, aber die Anwesenheit der Menschen ist das Entscheidende. Unser Ziel ist Tagesstruktur, Beschäftigung und Beziehung in einem niedrigschwelligen, akzeptierenden Setting, in dem erste Schritte und neue Perspektiven möglich werden. So etwas wie uns gibt es sonst kaum noch.


Wie helfen Sie den Menschen, die zu Ihnen kommen?
Wir bieten eine sinnvolle Beschäftigung in verschiedenen Werkstattbereichen wie Holz, Fahrrad, Küche, Garten oder EDV – ergänzt durch sozialpädagogische Begleitung. Ich führe Gespräche, begleite zu Ämtern, helfe bei der Tagesstruktur oder der Anbindung an weiterführende Hilfen. Wir schauen gemeinsam: Wo stehst Du? Was brauchst Du? Und was wäre der nächste kleine, machbare Schritt?

„Viele flüchten sich in digitale Welten, wenn die reale Welt kaum aushaltbar scheint.“


Welche Drogen sind aktuell auf dem Vormarsch? Gibt es Trends?
Neben klassischen Substanzen wie Alkohol, Cannabis oder Heroin beobachten wir eine Zunahme an Mischkonsum – oft mit Medikamenten oder neuen psychoaktiven Substanzen. Besonders auffällig ist auch die Normalisierung von exzessivem Medienkonsum, gerade bei jungen Menschen. Viele flüchten sich in digitale Welten, wenn die reale Welt kaum aushaltbar scheint.

Sandra Albert, Sozialberaterin beim Beschäftigungsprojekt WISSO 
des Internationalen Bundes (IB) in Mannheim; Foto: privat


Welche Rolle spielen soziale Medien in der Verharmlosung von Konsumverhalten?
Soziale Medien haben einen enormen Einfluss – sie stilisieren Alkohol oder Kiffen oft als Lifestyle, als Ausdruck von Coolness oder Entspannung. Was fehlt, ist der Blick auf die Schattenseiten. Gleichzeitig können sie auch aufklären und die Leute, die zu uns kommen, vernetzen. Entscheidend ist, wie wir Social Media nutzen und ob junge Menschen kritische Medienkompetenz entwickeln können.


„Betroffene verheimlichen es aus Scham, geraten in Schulden, verlieren Beziehungen oder Wohnungen“


Wie hat sich der Anteil Spiel- und Mediensüchtiger in den vergangenen Jahren entwickelt?
Er ist deutlich gestiegen. Vor allem Mediensucht – etwa durch Onlinespiele, soziale Netzwerke oder endloses Scrollen – ist bei vielen jüngeren Menschen präsent. Wir beobachten auch, dass gerade junge Männer stark gefährdet sind, sich im Online-Glücksspiel oder in Konsumspiralen zu verlieren.


Wie fällt beispielsweise eine Glücksspielsucht auf?
Oft leider sehr spät. Glücksspielsucht ist eine sogenannte „verdeckte Sucht“, da sie lange unauffällig bleibt – äußerlich wirkt vieles normal. Aber innerlich tobt der Kontrollverlust. Die Betroffenen verheimlichen ihr Verhalten aus Scham, geraten in Schulden, verlieren Beziehungen oder ihre Wohnung. Wenn wir auffällige finanzielle Engpässe, Ruhelosigkeit oder emotionale Schwankungen bemerken, schauen wir gezielt hin – ohne zu verurteilen.


Sind Sie persönlich der Meinung, der Staat sollte Alkohol und Sportwetten bezüglich Werbung, Verfügbarkeit und Altersgrenze stärker regulieren?
Absolut. Ich finde es paradox, dass Alkohol und Sportwetten so leicht verfügbar sind, während sie nachweislich schwere Schäden verursachen – körperlich, sozial, psychisch. Die Werbung suggeriert aus meiner Sicht "Spaß, Erfolg, Männlichkeit". Dabei verlieren viele ihre Existenz. Ich persönlich fände deutlich strengere Regularien gut – und eine ehrliche gesellschaftliche Auseinandersetzung mit diesen Themen.

Vielen Dank für das Gespräch!


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Dirk Altbürger
Pressesprecher
Telefon: +49 69 94545-107
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Stellvertretender Pressesprecher
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Angelika Bieck
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