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„Viele gehen zu unterklassigen Clubs, um die Schattenseiten des Profifußballs zu meiden”

Dennis Pfeiffer vom IB-Fanprojekt in Kassel über Proteste gegen die Innenministerkonferenz, Kommerzialisierung und Glücksspielsucht

Porträt von Dennis Pfeiffer, Mitarbeiter des Fanprojekts des Internationalen Bunds (IB) in Kassel, im Gespräch.
Dennis Pfeiffer vom Fanprojekt des Internationalen Bundes (IB) beim KSV Hessen Kassel erläutert die Hintergründe der Proteste gegen die Innenministerkonferenz und gibt Einblicke in seine Arbeit. Foto: IB

Der Internationale Bund (IB) betreibt Fanprojekte für die Anhänger*innen von sieben deutschen Fußballclubs, von der Regionalliga bis zur Bundesliga. Die Begeisterung für den Sport und einen bestimmten Verein ist dabei ein Anknüpfungspunkt für Jugend- und Sozialarbeit.

Junge Menschen treffen sich unter der Woche in IB-Räumlichkeiten, um Tischfußball oder Billard zu spielen und gemeinsame Aktionen zu planen. Geschultes Personal des IB steht für Gespräche über alltägliche Probleme in Schule oder Familie zur Verfügung. Darüber hinaus gibt es Vorträge, Diskussionsrunden oder Filmabende zu kritischen Aspekten des modernen Profifußballs. Derzeit beschäftigt die organisierten Fans vor allem ein Thema: die von der Innenministerkonferenz (IMK) geplanten rechtlichen Verschärfungen im Zusammenhang mit Stadionbesuchen.

Dennis Pfeiffer vom IB-Fanprojekt beim KSV Hessen Kassel erläutert die Hintergründe und gibt Einblicke in seine Arbeit.

Herr Pfeiffer, am vergangenen Wochenende schwiegen die organisierten Fans in Deutschlands Fußballstadien aus Protest während der ersten zwölf Minuten jedes Spiels, statt ihre Teams anzufeuern. Worum geht es dabei?

Sie protestieren damit gegen ein Vorhaben der IMK. Diese fordert, KI und Gesichtserkennung in deutschen Fußballstadien zur Kontrolle der Fans einzusetzen. Zudem plant die Politik personalisierte Tickets sowie eine Verschärfung der Stadionverbotsrichtlinie und eine zentrale Stadionverbotskommission. Diese Kommissionen, in denen auch oftmals Vertreter*innen von Fanprojekten sitzen, tagen bislang noch lokal, was auch Sinn ergibt. Wir kennen diejenigen, deren Fälle verhandelt werden, fast immer persönlich. Deshalb können wir die Ereignisse auch besser einschätzen und mitunter Maßnahmen treffen, die einen höheren gesellschaftlichen Nutzen haben als eine plumpe Bestrafung.

Was spricht aus Sicht der Fans gegen die Vorschläge der IMK?

Die neue Stadionverbotsrichtlinie würde vorsehen, dass während eines Ermittlungsverfahrens gegen Fans zwingend ein Stadionverbot von mindestens drei Monaten ausgesprochen wird. 

Das bedeutet, eine Person dürfte auch dann nicht ins Stadion, wenn das Verfahren am Ende eingestellt wird. Heißt: Jemand hat sich nichts zuschulden kommen lassen. Bis das festgestellt ist, darf die Person aber dennoch kein Fußballspiel besuchen, das höherklassig als die fünftklassigen Oberligen ist. 

Oftmals wird wegen Landfriedensbruch gegen ganze Gruppen ermittelt oder wegen Beihilfe zum Abbrennen von Pyrotechnik gegen in der Nähe stehende Fans – selbst, wenn diese gar keine strafbare Handlung vollzogen haben.

Die IMK hat zudem neben dem etablierten Nationalen Ausschuss Sport und Sicherheit (NASS) mit der Bund-Länder-offenen Arbeitsgruppe BLoAG eine Parallelstruktur geschaffen, der keine Fanvertretung angehört. Es wird über Fans geredet, aber nicht mit ihnen. Das ist aus meiner persönlichen Sicht fahrlässig. Die jungen Leute, die unsere Angebote besuchen, fragen sich auch, warum es überhaupt eine Verschärfung geben soll. Die Gewalt in deutschen Fußballstadien ist seit Jahren rückläufig.

Zu Heimspielen von Hessen Kassel kommen regelmäßig mehrere Tausend Zuschauer*innen. Wer sich nicht intensiv mit Fußball befasst, könnte sich fragen, warum ein Viertligist solch großen Zuspruch erhält.

Das hat – neben der guten sportlichen Situation des Vereins – mehrere Gründe. Grundsätzlich geht die Fußballbegeisterung in Deutschland nicht zurück, sondern hat nach der Pandemie noch einmal zugenommen. Zudem ist es für Jugendliche interessanter, die Ultra-Kultur dort auszuleben, wo sich ihr Lebensmittelpunkt und ihre Identität befindet. Das merken wir gerade sehr stark.

Viele Menschen gehen auch lieber zu unterklassigen Clubs, um die Schattenseiten des Profifußballs zu meiden: ungebremste Kommerzialisierung, Zusammenarbeit mit diktatorisch regierten Ländern, Korruption in den Verbänden und mehr.

Zuletzt gab es auch viel Kritik am Sponsoring kommerzieller Wettanbieter bei Fußballvereinen. Wie groß ist das Problem Spielsucht innerhalb der Fanszenen?

Wettspielsucht hat eine Relevanz, aber das gestehen sich viele Fans bislang leider noch nicht ein. Auch wenn die Achtsamkeit sicher stark zugenommen hat. Solange es aber dort nicht als Problem anerkannt ist, ist es in der Arbeit schwierig, anzuknüpfen. Das gilt im Übrigen auch für Drogenmissbrauch und andere Süchte. Hier kann Prävention eher informell und niedrigschwellig stattfinden.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Matthias Schwerdtfeger

 

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