Am 25. November ist der Tag gegen Gewalt an Frauen. Der Internationale Bund (IB) betreibt unter anderem in München eine Schutzstelle für Mädchen*. Was dort passiert, welche Rolle Drogen spielen und warum eine ausgebildete Fitness-Trainerin zum Team gehört, erzählt Christina Heigl, Bereichsleitung Inobhutnahme der Einrichtung.
Frau Heigl, wie viele Plätze hat Ihre Schutzstelle und wie ist die Auslastung?
Wir haben hier zwei Gruppen mit je acht Plätzen. In beiden wohnen Mädchen* von zwölf bis 17 Jahren. Die Auslastung liegt meist bei 90 bis 95 Prozent. Wir erhalten oft Anfragen für Plätze, haben aber häufig nichts mehr frei.
Wie lange sind Mädchen* in der Regel bei Ihnen?
Laut Betriebserlaubnis sollte die maximale Aufenthaltsdauer drei Monate sein. Im Schnitt zeigt sich das auch in der Statistik. Das kommt daher, dass einige Mädchen* sehr lange, sechs bis zwölf Monate, bei uns sind, andere nur ein paar Tage oder Wochen.
Wie haben sich die Probleme der Mädchen*, also die Gründe für ihre Schutzsuche, in den letzten Jahren verändert?
Eigentlich sind die Probleme immer ähnlich: Es geht um verbale, psychische oder physische Gewalt. Die Inobhutnahme erfolgt meistens aufgrund von Konflikten im Elternhaus.
Oft waren die Mädchen* bereits an anderer Stelle im Rahmen der Jugendhilfe untergebracht, konnten dort aber nicht bleiben, beispielsweise weil sie Gewalt angewandt haben oder häufig abgehauen sind. Auch am Konsum von illegalen Drogen scheitert es häufig, der unserer Erfahrung nach ansteigt. Für Jugendliche mit Gewalterfahrungen ist das ein sicher destruktiver, aber erprobter Bewältigungsversuch. Viele Jugendhilfemaßnahmen haben aber gerade den Konsum als Ausschlusskriterium, können die Jugendlichen dann also nicht aufnehmen. Es gibt außerdem zu wenige flankierende Unterstützungsmöglichkeiten für Jugendliche, die konsumieren, zum Beispiel Jugendsuchtberatungsstellen.
Welche Rolle spielt Wohnungslosigkeit? Ist sie in München aufgrund der hohen Mietpreise stärker verbreitet?
Offiziell gibt es keine wohnungslosen Jugendlichen, die müssen alle vom Staat untergebracht werden. Wenn sämtliche Schutzstellen voll sind, bleibt oft nur die Straße, bei Freunden zu schlafen oder in der Notschlafstelle „SleepIn“ unterzukommen. Bei einer Sache spielen die Mietpreise aber aus meiner Sicht schon eine Rolle: Viele große Familien sind aus finanziellen Gründen gezwungen, auf wenig Raum miteinander zu leben. Es verstärkt Konflikte, wenn man sich nicht aus dem Weg gehen kann. Vielen Menschen fehlt ein eigenes Zimmer, in das sie sich zurückziehen können.
Wie ist das, wenn Mädchen* längere Zeit bei Ihnen sind? Wie sieht ihr Alltag aus?
Gerade Mädchen*, die lange Zeit bei uns sind, haben oft Probleme, weitere Schritte zu machen, um wieder einen geregelten Alltag zu leben. Sie sehen dann andere Mädchen* kommen und gehen, doch sie selbst schaffen den Absprung nicht. Das kann deprimierend sein. Auch deshalb ist uns die Strukturierung des Alltags ein wichtiges Anliegen.
“DailyChampion” ist eine alltagsstrukturierende Maßnahme für Mädchen*, die keine Schule oder Ausbildungsstelle haben. Eine Mitarbeiterin* übt mit ihnen einen strukturgebenden Tagesablauf. Dazu gehören ganz alltägliche Dinge, die sie normalerweise von den Eltern lernen würden. Zum Beispiel: Welche Informationen liefert mir der Waschzettel eines Kleidungsstücks oder wie kaufe ich günstig ein und koche einigermaßen gesund oder ausgewogen?
“MoveChampion” ist unser Bewegungsprogramm. Es ist gut für die Mädchen*, aktiv zu sein. Insgesamt ist Bewegung ein zentraler Bestandteil für die ganzheitliche Entwicklung von Jugendlichen, da sie körperliche, geistige und soziale Aspekte des Lebens positiv beeinflusst. Dazu haben wir eine ausgebildete Fitnesstrainerin, die im Haus oder draußen mit ihnen Dinge macht wie Yoga, Tanzen, Boxen, Skaten und mehr.
Welche weiteren Therapiemaßnahmen gibt es bei Ihnen?
Es gibt bei uns psychologische und pädagogische Betreuung. Das Team im Gruppendienst wird unterstützt durch unsere Fachdienste. Hinzu kommt ein Modellprojekt der Stadt München, der „Schutzstellenboost“: Das ist ein Fachdienst in der Schutzstelle zur Unterstützung bei der Weitervermittlung für Mädchen*, bei denen schnell klar wird, dass eine Rückführung in die Herkunftsfamilie ausgeschlossen ist.
Was können Mädchen* und Frauen* in Deutschland tun, wenn Sie Gewalt erfahren? An wen können Sie sich wenden, wenn sie von keiner Mädchenschutzstelle in ihrer Nähe wissen?
Jugendliche können sich immer an die Polizei wenden. Zudem besteht natürlich die Möglichkeit, sich direkt beim Jugendamt zu melden oder sich einer anderen Vertrauensperson zu öffnen: Ich meine zum Beispiel Lehrer*innen oder Schulsozialarbeiter*innen.
Was kann jede*r einzelne tun, um Gewalt gegen Frauen* und Mädchen* einzudämmen?
Wenn man das Gefühl hat, dass ein Mädchen* oder einer Frau* sich unsicher fühlt, sollte man auf sie zugehen und ganz direkt fragen “Alles ok?”. Wir sollten alle miteinander hin- statt wegschauen. Vielen Mädchen* ist möglicherweise gar nicht klar, dass das, was sie da in gleichaltrigen Beziehungen, im Freundeskreis oder der Familie erfahren, Gewalt ist. Es ist für sie einfach selbstverständlich: Sie kennen es nicht anders. Deshalb muss die Gesellschaft früh ansetzen – und beispielsweise Fachkräfte schulen. Je früher man intervenieren und unterstützen kann, desto besser.
Vielen Dank für das Gespräch!
Die Fragen stellte Matthias Schwerdtfeger