Wie würde die Welt aussehen, wenn Kinder das Sagen hätten? Frieden und Zuckerwatte für alle! Darin sind sich die „Lichtenhainer Zwerge“ einig. Über solche Fragen debattieren die Kinder der Jenaer Kita des Internationalen Bundes (IB): im Kinderparlament oder dem eigenen Podcast „Zwerge auf großem Fuß“. In der mehrfach für ihre innovativen Projekte ausgezeichneten Einrichtung ist Demokratiebildung ein wichtiges Thema. Kita-Leiterin Silvana Günther spricht im Interview über den partizipativen Ansatz der Einrichtung, über Mitbestimmung, Verantwortung – und warum das auch mal chaotisch sein darf.
Frau Günther, Sie legen in Ihrer Kita großen Wert auf Demokratiebildung. Warum ist das aus Ihrer Sicht schon im frühen Kindesalter wichtig?
Demokratie muss man lernen – am besten früh. Das beginnt damit, eine eigene Meinung zu bilden und sie zu vertreten. Einige der Kleinen können das schon erstaunlich gut, andere brauchen ein wenig Übung.
Wir verstehen Demokratiebildung als etwas, das fest zu unserem Kita-Alltag dazugehört. Die Kinder entscheiden mit, übernehmen Verantwortung, erleben, dass ihre Meinung zählt – aber auch die Bedürfnisse anderer zu berücksichtigen. Unsere Einrichtung ist ein aktiver Lebensraum, in dem Mitreden, Mitverantwortung und gegenseitiger Respekt elementar sind.
Wie setzen Sie das im Alltag mit den Kindern um?
Wir arbeiten mit den Kindern an partizipativen Projekten – ein zentrales Format ist unser Kinderparlament. Die Kinder dürfen über wichtige Themen mitentscheiden, zum Beispiel über Neuanschaffungen in der Kita oder Regeln für das Miteinander. Kürzlich haben sie debattiert, wie wir alle miteinander kommunizieren möchten – und am Ende beschlossen, dass man nicht mehr schimpfen darf.
Anfangs habe ich das Kinderparlament noch begleitet, aber dann haben mich die Kinder „abgesetzt“. Was hier entschieden wird, gilt eben auch für mich: Nun wählen sie monatlich eine*n neue*n Chef*in.

Im Kinderparlament werden auch die Themen für unseren Podcast beschlossen, den die fünfjährigen Kinder Layla und Friedrich moderieren und der bereits mehr als 600 Hörer*innen hat – sogar in den USA und Korea.
Ein Podcast, ein Kinderparlament – das klingt nach viel zusätzlicher Arbeit. Wie lässt sich das in den Kita-Alltag integrieren?
Der Kita-Alltag ist streng getaktet. Am Anfang sieht das alles schwer aus, ist es aber eigentlich nicht. Demokratiebildung lässt sich wunderbar in den Tagesablauf integrieren. Wir ersetzen einfach Bestehendes durch neue Formate: Statt der klassischen Leserunde gibt es zum Beispiel unsere „Schnatterinseln“, wo die Kinder gemeinsam Themen diskutieren. Oder sie gestalten Wahlplakate, statt einfach nur zu basteln – so fließt Partizipation selbstverständlich in den Alltag ein.
Ein schönes Beispiel dafür ist unsere Kita-Wahl. Dafür haben die Kinder eigene Parteien gegründet: etwa die Eis-Partei, die Party-Partei oder die Tierschutz-Partei. Die Kinder haben Plakate gemalt, Wahlprogramme entworfen und um Stimmen geworben – auch kleine „Bestechungsversuche“ mit Bonbons blieben nicht aus. Drei Wochen lang wurde diskutiert, überzeugt und am Ende richtig gewählt – mit unabhängigen Wahlhelfern*Wahlhelferinnen.
In solchen Projekten kommt unglaublich viel zusammen: Sprache, Kreativität, soziales Lernen, Verantwortung. Die Kinder erfahren, dass ihre Meinung zählt, dass Kompromisse dazugehören – und auch, dass Demokratie anstrengend sein kann. Das gilt nicht nur für die Kinder: Auch wir Erwachsenen müssen lernen, Kontrolle abzugeben und Perfektion loszulassen. Demokratie ist eben ein gemeinsamer Lernprozess.
Haben Sie den Eindruck, dass sich viele Einrichtungen noch schwertun, solche Projekte umzusetzen?
Ja. Viele haben zunächst Respekt davor. Manche Eltern befürchten, dass lebhafte Kinder dann stärker auf ihrem Willen beharren. Und Erzieher*innen haben Sorge, dass sie im ohnehin vollen Alltag keine Zeit für solche Projekte finden oder dass kein „perfektes“ Ergebnis herauskommt.
Aber genau darum geht es: Demokratie ist kein reibungsloser Ablauf, sondern ein gemeinsamer Lernprozess. Es darf auch mal laut, chaotisch oder unvollständig sein. Wichtig ist, dass Kinder lernen, dass ihre Meinung zählt – und dass Erwachsene es aushalten, wenn Entscheidungen gemeinsam getroffen werden. Auch wir müssen lernen, Kontrolle abzugeben und uns auf den konstruktiven Dialog einzulassen.
Ich würde mir wünschen, dass sich noch mehr Einrichtungen trauen, diesen Weg zu gehen – und dass sie dabei auch Unterstützung bekommen. Denn Demokratiebildung lohnt sich: Sie stärkt Kinder, schafft Vertrauen und macht unsere Arbeit letztlich lebendiger und menschlicher.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Stefanie Vasa.
Zum Podcast „Zwerge auf großem Fuß“